Kaum mehr als ein Jahr ist seit dem Abschluss des sogenannten „Zukunftstarifvertrags“ zwischen IG-Metall und Alstom vergangen, und schon jetzt steht fest, dass es wieder zu massiven Produktionsverlagerungen und Entlassungen kommen wird.
Der Schienenfahrzeugbauer Alstom mit in Deutschland insgesamt 9600 Beschäftigten an 13 Standorten gab Ende letzter Woche bekannt, dass die Waggonbau-Sparte nach Polen verlagert werden soll.
Damit bestätigen sich die Aussagen eines Alstom-Regionaldirektors, der kürzlich im Handelsblatt mit der Aussage zitiert wurde, dass die Auslastung der deutschen Standorte nicht zur Konzernstrategie gehöre. Aufträge gingen ins polnische Breslau und Kattowitz. Was dort nicht geschafft wird oder nachgebessert werden muss, bekäme dann Bautzen oder Görlitz. Genau das wird nun umgesetzt.
Besonders hart soll es das Werk in Görlitz treffen, das mit seinen noch 700 Beschäftigten keine neuen Aufträge mehr für den Bau von Waggons erhalten wird. In Görlitz werden derzeit noch Doppelstockwagen für Israel und die Deutsche Bahn gebaut und Straßenbahnwagenkästen für Leipzig. Diese Aufträge werden noch abgearbeitet und ab Mitte 2026 soll Schluss sein.
Auch an den Standorten Hennigsdorf, Bautzen und Salzgitter wird die Produktion stark eingeschränkt. Hennigsdorf, das größte Werk mit rund 2000 Arbeitsplätzen, könnte zu einem reinen Entwicklungs- und Servicestandort schrumpfen. Auf einer Betriebsversammlung in Hennigsdorf am 28. Mai wurde der Belegschaft lapidar mitgeteilt, was nach 2026 passiere, hänge von der Auftragslage ab.
Mit den jetzigen Ankündigungen setzt sich eine lange Serie der Arbeitsplatzvernichtung fort, die auf jeder Stufe von der IG Metall und ihren Betriebsräten durchgesetzt wurde.
Das Werk in Görlitz, das eine 150-jährige Geschichte hat, beschäftigt derzeit nur noch 700 Arbeiterinnen und Arbeiter. Bereits 2017, als das Werk noch zu Bombardier gehörte, gab es Massenentlassungen. Damals waren hier noch 2500 Menschen beschäftigt. 1250 Arbeitsplätze fielen dem Rotstift zum Opfer.
Die IG Metall stimmte der Vernichtung von insgesamt 2200 Arbeitsplätzen zu, obwohl die Bombardier-Arbeiter in Hennigsdorf bereit waren, ihre Arbeitsplätze zu verteidigen und dafür zu Tausenden auf die Straße gegangen waren. Betriebsrat und IG-Metall verkauften den Beschäftigten die Versprechen der Konzernleitung, 8 Millionen Euro in den Betrieb zu investieren, als Wahrheit. Am Ende floss nur 1 Million.
Anfang 2021 wurde Bombardier von Alstom übernommen. Dies war Bestandteil des globalen Konzentrationsprozesses im Eisenbahnbau und mit einem brutalen Rationalisierungsprogramm verbunden.
Im Zusammenhang mit der Mobilitätswende ist europa- und weltweit ein starkes Wachstum der Bahnbranche im Gange, das satte Profite verspricht. So meldete der Verband der Bahnindustrie in Deutschland für das erste Halbjahr 2023 einen Rekordumsatz von 7,8 Milliarden Euro, nachdem im gesamten Jahr 2022 13,9 Mrd. erzielt worden waren. Eine Handvoll Großkonzerne kämpfen um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Ausgetragen wird dies auf den Knochen der Arbeiter in jedem Land.
Auch Alstom, das für 2023/2024 mit einem Umsatzwachstum von 5 Prozent rechnet, bringt sich für diesen Kampf in Stellung. Und so ging es für die ehemaligen Bombardier-Beschäftigten nach der Übernahme 2021 weiter wie zuvor: kontinuierlicher Abbau von Arbeitsplätzen und Lohnkürzungen im Gegenzug für wertlose Zusagen über den Erhalt der Standorte. Keine dieser Vereinbarungen war das Papier wert, auf dem sie geschrieben worden war.
Das jüngste Manöver, der sogenannte „Zukunftstarifvertrag“, den die IG-Metall im April 2023 mit Alstom geschlossen hatte, war mit empfindlichen Lohneinbußen für die Beschäftigten verbunden. Der Verzicht auf das Urlaubsgeld brachte dem Konzern eine Ersparnis von insgesamt 34 Millionen Euro im Jahr. Dafür sagte die Geschäftsleitung Investitionen in die Zukunft zu.
René Straube, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Alstom, jubelte damals: „Neben einer Beschäftigungssicherung für drei Jahre garantiert die Vereinbarung auch den Erhalt der Standorte.“
In Wirklichkeit diente der Zukunftsvertrag dazu, die Produktivität, sprich die Ausbeutung zu steigern. Und falls dies nicht in dem Maße gelinge, wie geplant, sollten die Arbeiter für die Differenz zur Kasse gebeten werden. Im Management-Sprech der IG Metall liest sich das so: „Für den Fall, dass die Produktivitätsziele nicht erreicht würden, sollte die entstehende Lücke mit objektiv zu messenden und gemeinsam zu kontrollierenden Beiträgen der Beschäftigten ausgeglichen werden.“
Zur Verschleierung hieß es, bei einer positiven Entwicklung der „erfolgsabhängigen Kennzahlen“ würden die Urlaubsgelder im jeweiligen Folgejahr an die Beschäftigten zurückgezahlt. Dass es dazu nie kommen würde, stand in Wirklichkeit von Anfang an fest.
Dennoch verkündete Uwe Garbe, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, begeistert: „Für die ostsächsischen Standorte Bautzen und Görlitz bietet der Zukunftstarifvertrag die große Chance, beide Werke langfristig zu stärken, wettbewerbsfähiger zu machen, um unseren Kolleginnen und Kollegen wieder eine nachhaltige Zukunftsperspektive zu bieten.“ Und IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner kommentierte: „Es war ein langer und streckenweise auch sehr mühsamer Weg. Aber es hat sich gelohnt: Die Arbeitsplätze sind gerettet, die Standorte gesichert.“
Das alles entsprach nicht der Wahrheit.
Als das Unternehmen 2024 die Urlaubsgelder weiterhin einbehalten wollte, sah sich die IG Metall unter dem Druck der Beschäftigten gezwungen, den Zukunftstarifvertrag zu kündigen. Im März hatten sich bei einer Urabstimmung 88,1 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für diesen Schritt ausgesprochen.
Die Gewerkschaft wirft Alstom nun vor, sich nicht an die Vereinbarungen gehalten zu haben, und fordert die einbehaltenen Gelder für die Beschäftigten zurück. Alstom hingegen akzeptiert die Kündigung nicht, sondern besteht auf der Einhaltung der Laufzeit bis Ende 2026. Das Unternehmen lasse die Kündigung juristisch prüfen, teilte Alstom weiter mit.
Auch nach der einseitigen Kündigung des Zukunftstarifvertrags steht fest, dass die IG Metall keinen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze führen wird. Es klingt wie eine Drohung an die Beschäftigten, wenn IG-Metall-Verhandlungsführer Jochen Homburg nun die sattsam bekannten Formeln wiederholt: „Die IG Metall ist weiterhin bereit, gemeinsam mit der Unternehmensführung an der Wettbewerbsfähigkeit – und damit für den Erhalt aller Standorte – zu arbeiten. Diese Bereitschaft können wir auf der Arbeitgeberseite aber leider nicht erkennen. Wir sind darum auch nicht so blauäugig, dass wir nicht auch an einem Plan B arbeiten.“
Mit anderen Worten, die Gewerkschaft ist zu irgendeinem neuen Deal bereit, mit dem ihre Funktionäre erneut die Beschäftigten täuschen können und letztlich bezahlen lassen.
Statt den Kampf für die Verteidigung der Arbeitsplätze und gegen Reallohnsenkungen zu führen, beauftragen sie lieber teure Unternehmensberater, um alternative Konzepte für mehr Wirtschaftlichkeit zu erstellen – alles finanziert durch die Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder.
Die Gewerkschaften vertreten nicht ihre Mitglieder, sondern sind als Co-Manager tätig. Dabei sehen sie ihre Aufgabe stets darin, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu verteidigen und für Konzerne wie Alstom wirtschaftlich attraktiv, sprich so günstig wie möglich zu halten – auch wenn sie zu Beruhigung das Motto „besser nicht billiger“ ausgeben.
Noch Anfang des Jahres wurde in der Gewerkschaftszeitung „metall“ unter der Überschrift: „Weichenstellung für die Zukunft“ für die „Wertschöpfung in Deutschland“ geworben und der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, mit der Forderung zitiert, dass bei öffentlichen Aufträgen ein bestimmter Anteil an deutsche Standorten vergeben werden müsse. Und René Straube, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Alstom, betonte: „Wir müssen unsere Standorte wettbewerbsfähig machen.“ Im gleichen Bericht betonte er: „Und durch eine Produktivitätssteigerung werden wir auch mittel- und langfristig weiter in Deutschland produzieren.“
Diese Politik dient nicht der Verteidigung, sondern der Vernichtung der Arbeitsplätze. Auf Kosten der Belegschaften wird ein Standort gegen den anderen ausgespielt. Ein Kampf für die Interessen der Arbeiter ist nur möglich, wenn sich die Belegschaften grenzüberschreitend zusammenschließen.
Arbeiterinnen und Arbeiter machen diese Erfahrungen in jeder Branche und in jedem Land der Welt. Alstom arbeitet in 100 Ländern weltweit mit rund 80.000 Beschäftigten, die überall vor ähnlichen Problemen stehen. Man muss die Frage stellen, für welchen Preis die polnischen Gewerkschaften die Verlagerung der Waggonbau-Produktion durch Alstom nach Kattowitz erkauft haben.
Um ihr Geld zurückzubekommen und die Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen die Arbeiter bei Alstom Bilanz ziehen und von den Gewerkschaften brechen. Es muss Schluss sein, mit den endlosen Zugeständnissen in Form von Arbeitsplatzabbau, Lohneinbußen und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Namen der „Wettbewerbsfähigkeit“.
Ein gemeinsamer Kampf für die prinzipielle Verteidigung der Arbeitsplätze und Lohnraub ist nur gegen die Gewerkschaftsapparate möglich und muss international geführt werden.
Die Verteidigung der Arbeitsplätze erfordert daher den Aufbau von gewerkschaftsunabhängigen Aktionskomitees, in denen kampfbereite Kolleginnen und Kollegen sich international vernetzen und gemeinsam die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze – als ihrer Lebensgrundlage – organisieren.
Die WSWS unterstützt den Aufbau von gewerkschaftunabhängigen Aktionskomitees und hilft dabei, die Verbindung zu den Arbeitern an anderen Standorten und in anderen Ländern herzustellen.
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